„Integrationskind… das Wort – und da sind wir uns wie so oft einig – haben wir beide bis heute nicht verstanden“. Ein sehr persönlicher Brief von Norbert Pauser.
Liebe I.!
Lustig, dass dein Name mit I beginnt. Meine Freundin I. Bist du gar meine I-Freundin?
Ich schreibe dir heute diesen Brief, vor Allem um dir zu sagen, dass ich gern dein Freund bin. Was ist Freundschaft? Zuallererst Sympathie. Die war vom ersten Moment an da. In dem Moment als du mich angesprochen hast. Mit diesem Schalk in den Augen. Den kenne ich mittlerweile nur zu gut. Du bekommst was du möchtest. Wenn es eng wird kann es sein, dass du manchmal dann eine andere Seite zum Vorschein bringst.
Da ist dann das kleine Mädchen, dass mit etwas leiserer Stimme sagt: „Aber ich kann das nicht…“ Dann muss ich schmunzeln. Weil du es wahrscheinlich kannst. Du kannst viel. Du malst die Seelen der Menschen. Du spielst Theater. Du musizierst und improvisierst. Du führst Regie – nicht nur auf der Theaterbühne. Sondern auf der Bühne des Lebens.
Aber was ist denn Freundschaft? Vertrauen? Ja. Gespräche? Unbedingt. Zusammen Lachen? Aber Hallo!
Erinnerst du dich wie ich zu dir gesagt habe, dass du Manager professionell begleiten solltest? Deine Art Fragen zu stellen ist verblüffend. Du bringst es auf den Punkt. Manchmal würde ich es nicht wagen die „Wahrheit“ so schonungslos anzusprechen. Das macht dir deutlich weniger Mühe. Du bist klug, manchmal erschreckend schlau. Wenn du zu den „richtigen“ Leuten gehst und sie einfach ganz direkt ansprichst. Ohne mit der Wimper zu zucken. Die nächste Ausstellung hast du dann in der Tasche.
Wärst du heute ein Kind, dann würden sie dich mit ziemlicher Sicherheit ein I-Kind nennen. Das Wort – und da sind wir uns wie so oft einig – haben wir beide bis heute nicht verstanden, nicht wahr? Du findest es schrecklich. Wenn ich die Augen zumache, versuche ich mir vorzustellen wie es sich anfühlen muss ein I-Kind zu sein. Ich bin ein Integrationskind. Wer bin ich? Wer kann mir das bitte erklären?
Manchmal sprechen wir über Integration. Und den Unterschied zu Inklusion. Deine Abgrenzungen sind sehr präzise. Erstaunlich, wie du deine Beobachtungen formulierst. Deine Analysen sind messerscharf. Die Grausamkeit der Grenze zwischen dem „wir“ und den „anderen“ benennst du schonungslos. Naja, wir beide machen unser Ding. So gut wir können. Rühren ein bisserl um.
Erinnerst du dich, wie ich dir von der Betreuerin erzählt habe, die im Seminar ihre Kollegin verteidigt hat? Sie hätte Verständnis, dass ihre Kollegin neidisch ist, weil die Klientin in eine eigene Wohnung gezogen ist, wo eine nagelneue Küche stand. Ihre Kollegin könne sich nämlich keine neue Küche leisten! Weil BetreuerInnen einfach viel zu wenig verdienen. Du hast gelacht über das was ich der Betreuerin geraten habe. Ihre Kollegin solle doch eine WG mit der Klientin gründen, dann hätten sogar zwei Leute Freude mit einer schönen neuen Küche. Die Seminarteilnehmerin war sehr ungehalten über meinen Vorschlag. Es war nicht böse, sondern aufrichtig gemeint. Ist es denn so abwegig, dass wir irgendwann vielleicht wirklich in einer WG landen?
Wie auch immer. Liebe I., du bist also meine I-Freundin! Meine Ich-hab-dich-einfach-lieb-Freundin. Nicht mehr und nicht weniger.
Mag. Norbert Pauser, CMC
Berater, Trainer und Autor
www.diversity-inclusion.at
AutorIn: Norbert Pauser
Zuletzt aktualisiert am: 16.06.2017
Artikel-Kategorie(n): Kommentare, News
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