Behinderte Menschen sind mit vielfältigen Formen von Diskriminierungen konfrontiert. Eine davon, und das kennen vor allem RollstuhlfahrerInnen, ist die Verbannung auf ganz bestimmte Rollstuhlplätze bei Kino-, Therater-, Konzertveranstaltungen… Aber das muss nicht immer sein, denn manchmal trifft das einache Sprichwort zu: Wo ein Wille, da ein Weg! Ein Kommentar von Tamara Grundstein.
Zugegeben, es gibt wichtigere Themen, wie zum Beispiel die Gleichstellung behinderter Menschen am Arbeitsmarkt oder das Auflösen von aussondernden Institutionen.
Aber manchmal muss person sich auch mal mit banaleren Dingen im Leben beschäftigen. Mit Dingen, die einen persönlichen Stellenwert haben. Und wie so oft, bekommt das Persönliche dann plötzlich doch einen politischen Charakter…
So geschehen am 24.07.2012 in Bergen, Norwegen.
Wie tausende andere Bruce Springsteen Fans begleite auch ich jede Welttournee über mehrere Destinationen. Seit den ’80er Jahren ist es mein größter Wunsch (als Springsteen-Fan) bei einem seiner Konzerte in der sog. „Pit“ zu sein, also direkt vor der Bühne in Greif-, Fühl- und Riechweite ;)
Bis vor kurzem wurde mir das immer verwehrt weil ich Rolli-Fahrerin bin! Die Argumente reichten von Brandschutzbestimmungen über Gefahr für mich bis zu Gefährdung anderer. Außerdem gibt es ja meistens extra für Rollstuhlfahrer_innen eine erhöhte Tribüne oder gesicherte Plätze.
Für Hardcore-Fans wie mich ist es eine regelrechte Strafe, fernab der Bühne sitzen zu müssen, wo das Geschehen auf der Bühne nur über die Leinwand zu verfolgen ist, wo der Sound oft miserabel ist und wo vor allem die Stimmung nie wirklich enthusiastisch ist!
Trotz vielfältiger Frustrationserlebnisse und ermüdenden Diskussionen mit Verantalter_innen und Security-Leuten in halb Europa war auch dieses Jahr klar – ich geh auf mindestens 4 Springsteen-Konzerte. Berlin, Wien und Oslo verliefen so wie bereits geschildert. Für das Bergen-Konzert machte ich mir auch keine Hoffnungen mehr und stellte mich darauf ein, mein 14. Springsteen-Konzert auf einer Rolli-Tribüne zu erleben.
„Zufällig“ spazierte ich in das Hotel, wo Bruce Springsteen übernachtete und plötzlich bemerkte meine Assistentin (Isabella Rief) einen kleinen Auflauf in der Lobby, ich rollte hin, zwängte mich durch ein paar Reporter_innen und sah Steven Van Zandt im Aufzug verschwinden. Er sah mich aber noch rechtzeitig und ging auf mich zu. Nach den obligatorischen Fotos und dem Küsschen schilderte ich ihm mein Anliegen. Er verstand sofort, worum es mir ging, wollte meine Visitenkarte und versprach mir, sich darum zu kümmern.
Danach stürmte die versammelte Lokalpresse auf mich zu – Interviews, Fotos – ich suchte schnell das Weite.
Nicht mal 2 Stunden später rief mich Paul, der Persönliche Assistent von Stevie an (ja, auch Stars haben Persönliche Assistenz ;) ) und bestellte mich in einer knappen Stunde zur Arena wo das Konzert stattfand. Sein Wunsch war mein Befehl – oder doch umgekehrt…?! Wir wurden schon zum Soundcheck eingelassen, ich konnte mir in Ruhe den besten Platz aussuchen. Paul war von Stevie beauftragt worden, alles zu checken. Das alleine reichte, um alle Bedenken der örtlichen Security und der Veranstalter zu zerschlagen!
Das Konzert selbst war das beste meines Lebens – ich war mitten im Geschehen, Stevie und auch Bruce kommunizierten immer wieder mit mir und hatten sichtlich Freude damit, mir eine Freude gemacht zu haben – und die hatte ich definitiv!
Der Grund, warum ich dieses Erlebnis so ausführlich schildere ist, weil ich es mit allen Sinnen erlebt habe, dass es überhaupt keine Gefahr ist, bei einem derart großen Rockkonzert im Rollstuhl vor der Bühne zu stehen! Weder meine Assistentin noch ich wurden bedrängt oder geschubst, geschweige denn schlimmeres. Weder beim Hereinstürmen der ersten Fans noch wenn Bruce ganz nach vorne kam.
Klar, dass ich Paul noch mit auf den Weg gab, sich mal die diskriminierende Situation für rollende Konzertbesucher_innen genauer anzuschauen.
Es gibt KEINEN Grund, warum wir nicht selbst entscheiden können, ob wir die „gesicherten“ Plätze nehmen oder vor der Bühne sein wollen! Diese Auslese seitens der Veranstalter_innen passiert willkürlich und entbehrt jeder Logik. Jemand mit einer Gehbehinderung, der keinen Rolli, sondern Krücken benutzt, kann frei entscheiden. Obwohl meines Erachtens hier eine realistischere Eigengefährdung bestehen könnte.
Es wäre schön, wenn nicht nur Steve Van Zant das Problem verstehen und lösen würde…
Tamara Grundstein
Peer Counseling, Feministische Beratung,
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Quelle: Tamara Grundstein
AutorIn: Tamara Grundstein
Zuletzt aktualisiert am: 30.07.2012
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