Die Universität Innsbruck hat im Auftrag des Sozialministeriums im Jahr 2014 ein Gutachten über die Verpflichtungen Österreichs aus der UN-Behindertenrechtskonvention erstellt. Hier ein kurzer Einblick in das Gutachten. Von Mag.jur. Anna Stix.
Das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (kurz UN-Behindertenrechtskonvention) ist ein multilateraler völkerrechtlicher Vertrag der UNO, der in Österreich seit 26. Oktober 2008 in Kraft ist. Das Übereinkommen konkretisiert und spezialisiert die allgemeinen Menschenrechte in Hinblick auf Menschen mit Behinderung. Zeitgleich ist in Österreich auch das Fakultativprotokoll zur Behindertenrechtskonvention, das insbesondere eine Individualbeschwerde auf internationaler Ebene bei schwerwiegenden Verletzungen der Konvention ermöglicht, in Kraft getreten.
Gesetzgeber als wichtigster Adressat der UN-Behindertenrechtskonvention
Bei der UN-Behindertenrechtskonvention handelt es sich um einen Staatsvertrag im Sinne des Art 50 Abs 1 des Bundes-Verfassungsgesetzes (B-VG), der vom Österreichischen Nationalrat genehmigt worden ist. Im Zuge dieser Genehmigung hat der Nationalrat in Form eines sogenannten Erfüllungsvorbehalts beschlossen, dass die UN-Behindertenrechtskonvention in Österreich durch die Erlassung von Gesetzen zu erfüllen ist. Somit hat der Gesetzgeber die unmittelbare Anwendbarkeit der UN-Behindertenrechtskonvention ausgeschlossen. Das bedeutet, dass Verwaltungsbehörden und Gerichte diesen Staatsvertrag ohne Hinzutreten eines innerstaatlichen Gesetzes nicht als unmittelbare Grundlage für ihre Entscheidungen heranziehen dürfen. Auch kann ein Einzelner Rechte oder Pflichten, die sich aus der Konvention ergeben, nicht ohne Hinzutreten eines Gesetzes geltend machen.
Diese Konstellation hat zur Folge, dass die Verpflichtungen aus der Konvention in erster Linie den Gesetzgeber treffen, der diese in Form von Gesetzen umzusetzen hat. Problematisch erscheint hier, dass keine verfassungsrechtlichen Sanktionen für den Fall vorgesehen sind, dass der Gesetzgeber dieser Verpflichtung nicht nachkommt. Da es im Bereich des Völkerrechts auch keinen „Weltgerichtshof“ gibt, der die Einhaltung völkerrechtlicher Regelungen überwachen könnte, bleibt als Sanktionsmöglichkeit nur die Staatenverantwortlichkeit. Begeht einer der Vertragsstaaten eine Vertragsverletzung, können die anderen Vertragsparteien ihn zur Herstellung des vertragskonformen Zustandes anhalten. Da aber vor allem bei menschenrechtlichen Verträgen die anderen Vertragsstaaten idR nicht von der Erfüllung des Vertrages durch alle anderen Vertragspartner profitieren, wird keiner der Vertragsmitglieder diesen Schritt erwägen.
Verpflichtung zur völkerrechtskonformen Interpretation
Darüber hinaus entfaltet die UN-Behindertenrechtskonvention als Staatsvertrag im Sinne des Art 50 Abs 1 B-VG aber noch eine andere Rechtswirkung. So besteht die verfassungsrechtliche Pflicht zur völkerrechtskonformen Interpretation, die Verwaltungsbehörden und Gerichte zwingt, innerstaatliche Rechtsnormen so auszulegen, dass sie nicht in Widerspruch zu den zwischenstaatlichen Verpflichtungen Österreichs geraten . Verwaltungsbehörden und Gerichte müssen also Rechtsnormen, wenn diese mehrere Interpretationsmöglichkeiten zulassen, so auslegen, dass sie mit der UN-Behindertenrechtskonvention übereinstimmen.
UN-Behindertenrechtskonvention als integraler Bestandteil des Unionsrechts
Besonders beachtlich ist in diesem Zusammenhang, dass Vertragspartner der UN-Behindertenrechtskonvention (nicht allerdings des Fakultativprotokolls) auch die EU ist. Als Internationale Übereinkunft der Union wird die Konvention daher zu Unionsrecht, das nicht nur die Union selbst, sondern auch alle Mitgliedstaaten bindet. Da es hier keinen Erfüllungsvorbehalt gibt, gilt die Konvention als EU-Recht in allen Mitgliedstaaten – und somit auch in Österreich – unmittelbar und vorrangig vor dem innerstaatlichen Recht. Das heißt Verwaltungsbehörden und Gerichte können und müssen die Konvention als Rechtsgrundlage für ihre Entscheidungen heranziehen.
Ob die Normen in diesem Fall auch unmittelbar anwendbar sind, ob also der Einzelne Rechte aus Konvention unmittelbar einklagen kann, muss im Einzelfall bestimmt werden. Ausschlaggebend ist dabei, ob die Vorschrift, auf die sich der Einzelne stützen will, eine hinreichend klare und eindeutige Handlungs- oder Unterlassungspflicht für den Vertragsstaat normiert und ob sie der Behörde/dem Gericht ein Ermessen einräumt oder eine Frist vorsieht. Im Gutachten wird festgestellt, dass die überwiegende Zahl der Vorschriften der UN-Behindertenrechtskonvention keine derartigen klaren und eindeutigen Verpflichtungen enthält. Vorschriften, die eine solche aber entnehmen lassen, gehen großteils in anderen auf Unionsebene bereits bestehenden, unmittelbar wirksamen Rechten (zB Rechte der Europäischen Grundrechtecharta) auf.
Unionsrechtskonforme Auslegung
Eine weitere rechtliche Wirkung der Unterzeichnung der Konvention durch die EU stellt die Verpflichtung der österreichischen Gerichte und Behörden zur unionsrechtskonformen Auslegung dar. Diese gestaltet sich im Wesentlichen wie die Verpflichtung zur völkerrechtskonformen Auslegung, geht aber insofern darüber hinaus, als bei Nichterfüllung dieser Pflicht durchaus Sanktionen vorgesehen sind (zB Vertragsverletzungsverfahren vor dem EuGH). Auch generell zeichnet sich die unionsrechtkonforme Interpretation durch eine stärkere Intensität aus. Die nationalen Behörden und Gerichte müssen alles tun, was in ihrer Zuständigkeit liegt, um die volle Wirksamkeit der fragliche EU-Rechtsnorm zu gewährleisten und zu einem Ergebnis zu gelangen, das mit dem von der EU-Rechtsnorm verfolgten Ziel übereinstimmt.
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Gutachten UN-BRK – Uni Innsbruck, 2014
AutorIn: Mag.jur. Anna Stix
Zuletzt aktualisiert am: 16.06.2017
Artikel-Kategorie(n): News, UN Behindertenrechtskonvention
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